Was will ich vom Taiji?
Ein Gleichnis: Als ich Anfang der 70er-Jahre den Film Alexis Zorbas sah und bald darauf den Roman „Hyperion“ von Friedrich Hölderlin las, war meine Begeisterung für Griechenland entflammt. Seitdem war ich ca. 26-27 Mal da, die allermeiste Zeit auf der Sporadeninsel Skopelos. Sie ist für mich das, was für andere Leute Kraftorte wie der Ayers Rock in Australien, Stonehenge in England oder die Pyramiden in Ägypten sind. Ich habe dort immer wieder eine tiefe Form der Verbundenheit mit allem erlebt. Und weil dieses Gefühl noch schöner ist, wenn man es mit anderen teilt, habe ich jedes Jahr einen Taiji-Kurs auf Skopelos angeboten und den Teilnehmer*innen „meine“ Insel gezeigt.
So ähnlich ergeht es mir auch mit Taiji, Taiji ist ein Schatz, den ich mit anderen teilen will. (Ich gebe zu, manchmal habe ich Mühe damit, wenn dieser Schatz nicht den Zuspruch findet, der ihm meiner Ansicht nach zusteht, aber dann sehe ich darin auch eine gute Übung zum Loslassen.)
Tajji ist Ausdruck daoistischer Lebensphilosophie; der Daoismus ist dem Geheimnis des Lebens auf der Spur, so wie andere Philosophien oder Religionen auch. Er stellt die Frage nach den tiefgehenden Zusammenhängen von Welt, Leben, Mensch. Die Prinzipien des Taiji (z.B. Wúwéi, Qì, zìrán, das Weiche besiegt das Harte, Yin/Yang usw.) zu verstehen und auf der Erfahrungsebene anwenden zu können, heißt das Leben besser zu verstehen. “Das was Namen hat und das, was keine Namen hat, ist eins. Beides gehört zur Quelle allen Lebens. Dort wo am Tiefsten das Tiefe liegt die Pforte zu allen Geheimnissen.” (Daodejing, Ausschnitt aus Spruch 1) Dieses Bestreben, zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, ist zutiefst menschlich. Und wenn wir es auch nur ansatzweise erkennen, verändert sich unsere Sicht auf das Leben grundlegend. Wir erleben uns und die Welt als eine Welt, als eine Menschheit, in der Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, Akzeptanz, Solidarität eine Selbstverständlichkeit sind. In der die Trennung und der Konkurrenzkampf aufgehoben sind, weil wir glauben es gibt von allem zu wenig. Niemand ist besser oder schlechter als jemand anderer, wir müssen niemanden mehr ins Unrecht setzen, um selber recht zu haben … Wir erleben die Fülle des Dao und erfreuen uns an den einfachen Dingen und wir teilen unser Glück freudig mit anderen.
Auch wenn die Konzepte Entspannung, präzise Körperwahrnehmung oder die Koordination von Körper und Geist usw. wichtig sind, so geht Taiji doch weit über diese Konzepte hinaus. Die gegenwärtigen Probleme sind nicht in erster Linie politischer oder ökonomischer Natur, sondern Probleme aufgrund unserer Glaubensinhalte und unserer Sicht auf das Leben. Taiji kann unsere Sicht auf das Leben verändern und den dringend notwendigen Paradigmenwechsel einleiten. Wenn wir das tun, gehen wir harmonischen und friedlichen Zeiten entgegen, wenn nicht, wird uns in nicht allzu ferner Zukunft ein zunehmend rauer Wind entgegenwehen. Es liegt an mir, an dir, an uns.