Der Geist führt

Taiji verdient seinen Namen erst dann zu Recht wenn unser Geist die führende Rolle übernimmt. Taiji-Bewegungen, die nicht vom Geist begleitet bzw. angeführt werden, sind bestenfalls eine wohltuende Gymnastik. Im Kontext von Taiji unterscheiden wir den oberflächlichen Geist oder Alltagsgeist vom Herzgeist (Xin). Der oberflächliche Geist entwickelt sich harmonisch, wenn unsere kognitiven, emotionalen und motorischen Fähigkeiten im Gleichgewicht sind und wir unseren alltäglichen Aufgaben zufriedenstellend nachkommen können. Mit oberflächlich ist keine Wertung verbunden, es ist der Anteil unseres Geistes, der mit Hilfe der 5 äußeren Sinne Informationen über das, was in der Außenwelt passiert, speichert und verarbeitet, der es uns also ermöglicht, ein Flugzeug zu bauen, ein Geschäft abzuschließen oder uns im Straßenverkehr zurechtzufinden.
Unser Herzgeist unterscheidet sich vom Alltagsgeist durch eine deutlich tiefere Ebene. Unsere Wahrnehmung ist subtiler, innerlicher. Unsere Handlungen sind eine spontane, intelligente und absolut passende Reaktion auf die wahrgenommene Situation. Der entwickelte Herzgeist ist über die Mechanismen des Egos hinausgewachsen und schlägt eine Brücke zum universellen Geist oder wie wir im Kontext von Taiji sagen können zum Dao. Bei unserem täglichen Taiji-Training bemühen wir uns, so gut wir können, nach innen zu gehen und aus einem ruhigen, entspannten Zustand unsere Intention, unsere Wahrnehmung und unsere Intelligenz zu schulen. Wir achten sehr genau auf die kleinen inneren Veränderungen in unserem Körper – den Puls, den Herzschlag, subtile Wärmeempfindungen im Körper, Kribbeln und Prickeln z. B. in den Gliedern u.a.m. Dieses feine Horchen setzt voraus, dass der tiefere Teil unseres Geistes erwacht, Konzentration, die vom Alltagsgeist ausgeht, reicht nicht aus.

Die natürliche Abfolge um tiefere Schichten im Taiji zu entwickeln lautet: Körperbewegung – Veränderungen im Körper – elastische Kräfte (Druckverhältnisse und Dehnen der Muskeln) – Energie – Geist. Ob und wie sehr man die inneren Veränderungen, die Kräfte usw. fühlt, hängt davon ab, wie sehr man den Geist beruhigen kann. Auf jeder dieser Ebenen setzt man Intention (Yi) ein, um das zu regulieren und zu verfeinern, was man wahrnimmt. Dadurch nimmt die dritte Funktion des Geistes, die Intelligenz, allmählich zu (die drei Funktionen des Geistes sind Intention, Gewahrsein, Intelligenz). Schließlich gelangt man dorthin, dass der Körper dem Geist folgt. Zunächst folgt die Wahrnehmung der äußeren Bewegung, später folgt die Bewegung dem Geist.

Das übergeordnete Ziel des Tranings ist, die Prinzipien des Taiji bzw. die tieferen Anteile von uns, in den Alltag zu übertragen; diese tieferen Anteile prägen allmählich die Art wie wir uns bewegen, fühlen denken.